Bei der Energiepolitik stehen alle unter Strom
Ob im Bund oder auf kommunaler Ebene: Gesetze und Projekte sind heiß umstritten
Die Energiepolitik erhitzt die Gemüter wie kaum ein anderes Politikfeld, prallen doch verschiedene Interessenlagen vehement aufeinander. Es gibt aber auch kaum ein Politikfeld, in dem über das Setzen politischer Rahmenbedingungen so zielgerichtet gesteuert werden kann, beispielsweise über das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG), über das Atomausstiegsgesetz, über den Emissionshandel oder über Energiesteuern. Wichtig ist, diese Rahmenbedingungen konsequent und glaubwürdig abzustecken, schwierig ist oft die Umsetzung auf kommunaler und regionaler Ebene.
Ein Spiegelbild der bundesweiten Konflikte um die künftige Energiepolitik ließ sich in den letzten Wochen und Monaten in unserer Region beobachten. Auf der einen Seite sind regenerative Energieprojekte ebenso umkämpft wie auf der anderen Seite Kohle- und Atomkraftwerke.
Beispiel 1: Windkraft an der Hohen Straße
Auf Schönecker Gemarkung erfolgte im Juli 2009 der Baubeginn dreier Windkraftanlagen am Galgenberg. Ebenfalls im Juli wurde vom Regierungspräsidium Darmstadt die Genehmigung von vier Anlagen am Gelben Berg erteilt. CO2-frei kann mit den sieben  Anlagen künftig jedes Jahr ungefähr die selbe Menge Strom erzeugt werden, die in Schöneck verbraucht wird.
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Baubeginn der Windkraftanlagen an der Hohen Straße im Juli 2009. Im Hintergrund das Kraftwerk Staudinger.
Vorausgegangen waren jahrelange Auseinandersetzungen in der Schönecker Gemeindevertretung, wo CDU und FDP mit mehreren Anträgen versuchten, die Projekte zu Fall zu bringen. 500 Windkraft-     Gegner folgten dem Aufruf zu einer Demonstration gegen die Anlagen. Aktuell sind noch Klagen von Anwohnern anhängig, die argumentieren, dass ihr Wohngebiet als reines Wohngebiet zu behandeln sei, für das noch strengere Grenzwerte gelten als für allgemeine Wohngebiete. Als solche sind aber alle Schönecker Wohngebiete ausgewiesen.
Noch schärfer verläuft die Diskussion in Niederdorfelden um die dort geplanten Windkraftanlagen. Ein Bürgerbegehren, für das 542 Unterschriften vorlagen, musste der Gemeindevorstand mit Bürgermeister Zach (Grüne) an der Spitze wegen der unzulässigen Fragestellung für ungültig erklären. Mit Mehrheit von CDU und SPD beschloss die Niederdorfelder Gemeindevertretung daher nachträglich (!), die Fragestellung des Bürgerbegehrens zu ändern. Die Änderung konnte Zach ebenfalls nicht anerkennen, da damit ja den Unterzeichnern nachträglich eine andere Formulierung untergeschoben worden wäre. Gegen diese Entscheidung beschlossen CDU und SPD eine Klage vor dem Verwaltungsgericht - begleitet von heftigen Vorwürfen gegen Zach. Im Juni 2009 wies das Verwaltungsgericht die Klage nach nur kurzer Verhandlung ab und bestätigte damit die Rechtsauffassung von Zach in allen Punkten. Die Planungen des potentiellen Investoren können nun wieder aufgenommen werden - sofern dieser das Interesse noch nicht verloren hat.
Beispiel 2: Vorrangflächen für Windkraft im Planungsverband 
Seit dem Jahr 2003 erarbeitet der Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main einen Regionalen Flächennutzungsplan. Dieser soll den Rahmen vorgeben für kommunale Bebauungspläne und diverse weitere Planungen. Unter anderem sollen Vorrangflächen für Windenergie mit Ausschließlichkeitscharakter ausgewiesen werden, das heißt, dass dann nur noch auf diesen Flächen Windkraftanlagen errichtet werden dürfen. Bislang dürfen sie als privilegierte Vorhaben im Außenbereich prinzipiell überall errichtet werden wo keine besonderen Gründe dem entgegenstehen.
Bis Februar 2009 hatte die CDU mit ihrer Mehrheit in der Verbandskammer des Planungsverbandes die Anzahl der Vorrangflächen für Windenergie in mehreren Etappen von 66 auf fünf reduziert. Vier Monate später wurden im Vermittlungsausschuss von Verbandskammer und Regionalversammlung Südhessen die fünf Flächen wieder auf  acht aufgestockt, diese entsprechen 2,4 Promille der Gesamtfläche. Die FDP in der Regionalversammlung fürchtete, dass die Planung ansonsten als Verhinderungsplanung angesehen werde und damit rechtlich nicht haltbar wäre, womit das bisherige, mehrjährige Planungsverfahren Makulatur würde.
Grüne, SPD und andere Windkraftbefürworter sowie Juristen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die geringe Anzahl an Vorrangflächen rechtlich nicht zu halten ist. Sogar  der hessische Wirtschaftsminister Posch (FDP), der als letzte Instanz den Regionalen Flächennutzungsplan genehmigen muss, macht deutlich, dass er so den Plan nicht durchwinken werde. So wurde am 1. September 2009 ein Plan zum zweiten Mal offengelegt, der im Prinzip nicht genehmigungsfähig ist.
Beispiel 3: Scheitern der Bioagasanlage in Bruchköbel
Der 7. Juli 2009 war ein höchst aufschlussreicher Tag in der kommunalen Energiepolitik. Im Rahmen der frühzeitigen Trägerbeteiligung hatte die Gemeinde Schöneck die Gelegenheit, Stellung zu der geplanten Biogasanlage in Bruchköbel zu nehmen. Der vorgelegte Beschlussvorschlag der Verwaltung war ablehnend und stellte vermeintlich „nicht hinnehmbare Verkehrsbelastungen“ für Schönecker Wirtschaftswege fest. Einem Änderungsantrag der Schönecker Grünen, dem zu Folge das Vorhaben grundsätzlich befürwortet werden sollte, stimmte an Stelle der SPD überraschend die CDU zu.
Ernüchterung brachte jedoch am folgenden Tag die E-Mail-Korrespondenz mit den grünen Parteifreunden aus Bruchköbel: Die dortige CDU, Kooperationspartner der Grünen, die lange Zeit das Projekt mit zu tragen schien, hatte am gleichen Tag in der Bruchköbeler Stadtverordnetenversammlung das Projekt abgelehnt.
Beispiel 4: Ausbau des Kohlekraftwerks Staudinger
Bei Kohle- und Atomkraftwerken verhält es sich im Grundsatz genau anders herum. Die Befürworter versuchen mit Vehemenz - und bisher erfolgreich - die Staudinger-Erweiterung durchzusetzen. Die Gegner in Politik und Gesellschaft, hier allen voran die leidenschaftlich engagierte Bürgerinitiative „Stopp Staudinger“, kämpfen mit allen erlaubten Mitteln dagegen an. Im vergangenen Jahr beteiligten sich über 2000 Menschen an einer Demonstration vor dem Kraftwerksgelände. Im laufenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren wurden mehrere tausend Einwendungen eingebracht.

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Groß-Demonstration gegen die Staudinger-Erweiterung im September 2008
Beispiel 5: Abschalten von Biblis
Nach dem unter rot-grün beschlossenen Atomausstiegsgesetz hätte der im Jahr 1974 in Betrieb genommene und damit älteste noch - ab und zu - laufende Reaktor Biblis A in dieser Legislaturperiode abgeschaltet werden müssen, da dann die vereinbarte Reststrommenge ausgeschöpft gewesen wäre. Mit List und Tücke gelang es RWE, das Kraftwerk über die Bundestagswahl zu retten, in der Hoffnung, dass unter einer Energiekonzern-freundlichen schwarz-gelben Regierung der Ausstieg aus dem Atomausstieg vollzogen würde. Zunächst hatte RWE beantragt, Strommengen aus neueren Kraftwerken auf Biblis A zu übertragen, war damit jedoch vor Gericht gescheitert. Plan B griff dann aber: Durch (absichtlich in die Länge gezogene?) Reparaturzeiten in Folge diverser Pannen, ist immer noch ein Reststromkontingent offen, was Biblis A in die neue Legislaturperiode rettet. Ob sich diese Zähigkeit für RWE und die Atom-Lobby lohnt, hängt entscheidend von der Wahl am 27. September ab.
Beispiel 6: Kohlekraftwerk Ingelheimer Aue
Dass sich Zähigkeit lohnt, zeigt ein Blick nach Mainz. Dort haben Grüne und viele weitere Mitstreiter jahrelang mit hohem Einsatz und viel Kreativität gegen das geplante Kohlekraftwerk Ingelheimer Aue gekämpft. Doch die Befürworter wollen unverändert an  dem Projekt festhalten. Überraschende Wendung: Vermutlich findet sich keine Bank, die im Jahr 2009 ein Milliardenprojekt für Kohlestrom, einer Technologie aus dem vorigen Jahrtausend, finanzieren will.
Fazit: Nur mit den Grünen gibt es regenerative Energie pur
In kaum einem Politikfeld sind die Positionen so klar wie in der Energiepolitik. FDP und Union befürworten den Bau von Kohlekraftwerken und wollen den Ausstieg aus dem Atomausstieg.  Von den Positionen der Grünen (siehe Kasten) haben SPD und Linke bereits einige übernommen. Immerhin wurde unter rot-grün das erfolgreiche Erneuerbare Energien Gesetz beschlossen. Am Ende gilt: Grüne Energiepolitik gibt es nur dort, wo Grüne mitregieren.
Wolfgang Seifried

Grüne Positionen zur Energiepolitik
    • Erweiterung des EEG (Erneuerbare Energien Gesetz) um Regelungen für die Förderung von Kombikraftwerken inklusive Speicher
    • Nach dem Erfolgsmodell EEG Entwicklung eines Wärmegesetz, das auch den Gebäudebestand und die Abwärme aus industriellen Prozessen einbezieht
    • Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien auf 40 Prozent der Stromproduktion und 30 Prozent der Wärmeproduktion bis 2020
    • Masterplan Netzintegration: Schaffung eines intelligenten Stromnetzes mit optimaler Integration Erneuerbarer Energien, Bau eines europaweiten Hochspannungsgleichstromnetzes
    • Energieeffizienzgesetz: nach dem in Japan bereits etablierten Top-Runner-Modell geben die jeweils effizientesten Geräte den Standard vor, den künftig alle Anbieter einhalten müssen
    • Einführung einer Brennelementsteuer zur Beteiligung der Atomwirtschaft an den externen Kosten der Nutzung der Kernenergie (z.B. für Endlagerung)
    • Ergebnisoffenes Suchverfahren für ein Endlager
    • Beibehaltung des beschlossenen Atomausstiegs
    • Kein Neubau von Kohlekraftwerken - auch nicht mit CO2-Speicherung mittels CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage), da nicht sichergestellt ist, dass das CO2 dauerhaft gespeichert werden kann